Ein guter Ort zum Totsein


Friedhof Sehlem

Neulich haben mein alter Herr und ich einen kleinen Verwandtenbesuch unternommen. Einmal im Jahr habe ich dieses Bedürfnis.

Friedhof Sehlem. Das war für mich immer der Friedhof.

Hier stand ich als Kind vor ganz kleinen Gräbern, Kindergräbern, wie meine Mutter mir erklärte. Hier hörte ich von lieben Familienmitgliedern, die leider nicht lange genug bleiben konnten, um meine Ankunft abzuwarten. Hier sind bei Onkel Hermanns Beerdigung im eisigen Wind um Haaresbreite noch drei Menschen erfroren.

Hier hab ich mir mindestens dreimal am Tor ganz fruchtbar die Griffel geklemmt.

Omma liegt hier, Tante Friede und Onkel Hermann, die Urgroßeltern mütterlicherseits und mein nie gekannter Opa väterlicherseits auch.

Die Asche meiner Mutter ruht allerdings anderenorts. Hm.

Und dennoch. Der Ort hat auf eine schwer fassbare und noch schwerer zu beschreibende Art eine besondere Ausstrahlung. Hier empfinde ich schon als Lebender tiefen Frieden. Hier kann ich für einen Moment lang glauben: Alles wird gut.

Ja. Wenn meine Tage auf dieser Ebene der Existenz gezählt sind und ich tatsächlich gehen muss, möchte ich mir die Radieschen hier von unten betrachten. Das ist ein guter Ort zum Totsein.


© 6. Oktober 2016 Björn Hagemann - Impressum